So nah, so fern
„Herzlichen Glückwunsch!“, ruft der ältere Herr über den Gartenzaun und ruft es laut. Er weiß um die starke Schwerhörigkeit seiner Nachbarin. Sie feiert ihren Geburtstag heute allein, in der Sonne auf der Terrasse, mit Musik von Helene Fischer. So gerufen aber weiß nun auch die übrige Nachbarschaft: „Ach, guck mal, die Bertha hat wohl heute Geburtstag ... und Klaus gratuliert ihr“. Und Bertha merkt an den Gesichtern, die nett zu ihr herüberschauen: „Sie denken an mich. Schön!“
„Ich wollt dir nur mal eben was vorbeibringen“, ruft sie durch die noch geschlossene Tür hindurch. Ein Glas frisch gekochte Rhabarbermarmelade stellt sie vor sich hin. Sie ist schon wieder im Gehen, aber das Glas und das nette Wort bleiben stehen – vorm Haus der Freundin, die sich im Haus langsam zur Tür bemüht.
Kuscheln ist noch nicht … und dennoch erwarte ich mit weit ausgebreiteten Armen meinen Neffen. Besuch nach langer Zeit mal wieder – und wir stehen uns einen Moment lächelnd gegenüber und irgendein launiger Spruch zur Situation und dass wir uns freuen, wenn es wieder anders ist, hilft uns über die Abstandsbremse hinweg.
Solche und andere Erfahrungen mehr, die wir ungewollt im derzeitigen „Leben mit Abstand“ sammeln, öffnen uns noch einmal die Augen, um zu verstehen, wie uns Gott tagtäglich nah kommt – in guten und andern Zeiten. Auch wenn wir seine Arme nicht spüren, seine Stimme nicht hören können: da ist mein Nachbar, das Marmeladenglas, der launige Spruch, das Gebet, in das ich meine Gedanken an die anderen still für mich hineinlege. So kommt er zu uns, der uns ruft: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch ausruhen lassen“ (Matthäus 11,28).